HOAI verstößt gegen EU-Recht: Unmittelbare Auswirkungen für Bauherren und Vergabeverfahren

Symbolbild Planung

Am Donnerstag, dem 04. Juli 2019 fällte der Europäische Gerichtshof das mit Spannung erwartete Urteil: Die deutsche Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) verstoße gegen EU-Recht, die verpflichtenden Mindest- und Höchstsätze seien unzulässig. Hpm zeigt erste Stimmen zu den Auswirkungen und berät zu laufenden und bevorstehenden Vergabeverfahren.

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Qualitätssicherung vs. Niederlassungsfreiheit

Im Klageverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland (Rechtssache C-377/17) befanden die Luxemburger Richter das seit 1977 verbindliche Preisrecht der HOAI als europarechtswidrig. Nach Artikel 15 der europäischen Dienstleistungsrichtlinie dürfen Mindest- und Höchstpreise nur vorgeschrieben werden, um höherrangige Güter wie Leben oder Gesundheit zu schützen. Nach Argumentation der Bundesrepublik sei dies ein Grundsatz der Regelung, da ein Preiswettbewerb für die Planungsarbeit von Architekten und Ingenieuren die Qualität der Bauleistungen gefährden könnte.

Diese Rechtfertigung hatte bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht Bestand, wurde nun aber durch den EuGH gekippt. In ihrer Klage Ende September 2016 warf die EU-Kommission der Bundesrepublik vor, mit der HOAI gegen die Niederlassungsfreiheit zu verstoßen: Sie sei ein Hindernis für Anbieter aus anderen EU-Staaten, die nicht über den Preis konkurrieren könnten. Stattdessen forderte Binnenmarktkommissarin Elzbieta Bienkowska eine Erleichterung des Wettbewerbs, damit Verbraucher mehr Auswahl und niedrigere Preise bekämen. Im Februar bestätigte EU-Gutachter und Generalanwalt Maciej Szpunar diese Einschätzung.

Urteil: verbindliche Honorarsätze der HOAI unwirksam

Mit seinem Urteil am Donnerstag bestätigte der Europäische Gerichtshof die Argumentation der EU-Kommission. Die in der HOAI festgeschriebenen Sätze erfüllten nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, begründeten die Richter, denn die Mindestsätze gälten nur für Architekten und Ingenieure. Die entsprechenden Leistungen könnten aber ebenso von anderen Dienstleistern erbracht werden, die ihre fachliche Eignung nicht nachweisen müssten. Daher seien die Mindestsätze nicht geeignet, hohe Qualitätsstandards und den Verbraucherschutz zu sichern. Vielmehr zeigten andere EU-Mitgliedsstaaten, dass auch ohne verbindliche Honorarsätze qualitätsvolle Architektur- und Ingenieurleistungen erbracht werden könnten.

Bundesarchitektenkammer warnt vor Auswirkungen in der Praxis

Die Bundesarchitektenkammer reagierte mit scharfer Kritik auf das Urteil. In einer Pressemitteilung heißt es: „Die HOAI in ihrer bisherigen Form verhindert einen ruinösen Preiswettbewerb, um Auftraggebern die bestmöglichen Leistungen zu sichern, deren Qualität kaum im Voraus bewertet werden kann und gleichzeitig besonders großen Einfluss auf das Leben der Menschen hat.“ Die Entscheidung sei ein bedeutsamer Einschnitt für Architekten und Auftraggeber. Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, kündigte an, „die intensiven Gespräche mit dem federführenden Bundeswirtschaftsministerium [fortzuführen], um die Leistungsbilder und Honorarsätze der HOAI mit Zustimmung der Bundesländer zumindest als abgeprüften Referenzrahmen zu erhalten.“

Folgen für Bauherren und Vergabeverfahren

Das Urteil des EuGH ist nicht mehr anfechtbar und somit bindend. Die Bundesrepublik Deutschland hat nun voraussichtlich bis zu einem Jahr Zeit, auf die Entscheidung des EuGH zu reagieren. Doch schon jetzt diskutieren juristische Berater und Experten die Interpretation und unmittelbaren Auswirkungen des Urteils. Als sicher gilt, dass die weiteren Regelungen der HOAI nach wie vor wirksam bleiben. Die Richter bestätigten, dass eine Honorarordnung als unverbindliche Orientierung durchaus ein sinnvolles Instrument des Verbraucherschutzes darstellen kann. Hinfällig ist lediglich das „harte Preisrecht“ nach §7 Abs. 1, 3 und 4 HOAI.

Doch es reicht nicht, auf eine Reaktion des Gesetzgebers durch Aufhebung oder Änderung der HOAI zu warten. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts sind die öffentlichen Stellen in Deutschland verpflichtet, Vertragsverletzungen sofort abzustellen. „Daher darf beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen Angeboten der Zuschlag nicht mehr aufgrund der Tatsache verweigert werden, dass die angebotenen Preise unterhalb der Mindesthonorarsätze oder oberhalb der Нöchsthonorarsätze der HOAI liegen“, gibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in einem Informationsschreiben bekannt.

Abschlag auf die Mindestsätze der HOAI

„Was jedenfalls zulässig sein dürfte“, so die Einschätzung der Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, „ist die Vorgabe eines Berechnungshonorars nach HOAI mit der Möglichkeit, einen frei kalkulierbaren Abschlag von den Mindestsätzen oder Zuschlag zu den Höchstsätzen anzubieten.“ Schließlich würden damit nicht, wie gemäß Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie verboten, mittelbar verbindliche Mindest- oder Höchstpreise vorgegeben. Unberührt bleiben sollten auch vertragliche Vergütungsvereinbarungen, die ein Berechnungshonorar nach der HOAI vorsehen. Denn diese beruhen unabhängig von der Verordnung auf einer autonomen Parteivereinbarung, so auch Rechtsanwalt Dr. Thomas Müller von Müller | Schell | Peetz Rechtsanwälte Partnerschaft mbB.

Eine weitere Folge: Die Erfolgsaussichten für sogenannte „Mindestsatz-“ oder „Aufstockungsklagen“, mit denen Architekten vertraglich vereinbarte Pauschalhonorare unterhalb des HOAI-Mindestsatzes im Nachhinein mittels Klage anzuheben versuchten, dürften mindestens gesunken sein. Diesen Effekt durch die „Horizontalwirkung“ der Richtlinie beschreibt Dr. Benjamin Baisch von LUTZ | ABEL Rechtsanwalts PartG mbB.

Gestiegene Anforderung an geeignete Zuschlagskriterien

Für öffentliche Auftraggeber bedeutet der Wegfall der HOAI-Honorarsätze nun eine größere Herausforderung, Zuschlagskriterien aufzustellen, die eine angemessene Entscheidung über das beste Preis-/Leistungsverhältnis von Architekten- und Ingenieurleistungen erlauben. Nach Einschätzung der Rechtsanwälte Dr. Rut Herten-Koch und Henner-Matthias Puppel „wird das stets heraufbeschworene Risiko von massiven Qualitätseinbußen durch Auftragsvergaben zu Discount-Preisen schon allein dadurch vermieden, dass § 76 VgV bei Planervergaben weiterhin den Schwerpunkt auf den Leistungswettbewerb legt.“

Wenn Sie Fragen zu Ihren laufenden oder geplanten Vergabeverfahren und den aktuellen Auswirkungen haben, sprechen Sie uns gern an!